Ein Mann sitzt am Küchentisch und erzählt sein bewegtes Leben. Mit 15 wird er drogensüchtig, sitzt mit 18 auf der Straße, verübt unzählige Einbrüche. Verurteilungen und vier Gefängnisaufenthalte folgen. Er erzählt Gangster- und Partygeschichten, von Leuten und Lebensweisheiten. Er sitzt einfach da und spricht und man hört ihm zu. Und kann nicht genug davon bekommen.
Ich habe in den letzten Wochen alle Folgen der Webserie “Shore, Stein, Papier” geschaut und kann ab jetzt den Mittwoch nicht mehr erwarten, wenn neue Folgen hochgeladen werden. Unser Protagonist erzählt auch die grausigsten Geschichten sympathisch und unterhaltsam: Wie ein Zellennachbar sich fast den goldenen Schuss gesetzt hätte, was ein anderer angestellt hat, um ins Gefängnis zu kommen, wie schlimm ein LSD-Trip sein kann. Man lernt, wie einfach es früher in Hannover war, in Ladengeschäfte einzubrechen, wie der Heroinhandel organisiert ist, wie Rohypnol zusammen mit Alkohol wirkt und wie man aus dem Gefängnis ausbricht.
Stand heute, nach mehr als 100 Folgen zu je ca. 10 Minuten, erzählt unser Protagonist von der Zeit nach der ersten Jugendhaft. “Jetzt folgte die ekelhafteste Zeit meines Lebens.”, sagt er. Und man fragt sich, was nach dem ersten Teil kommen kann, das noch schlimmer ist.
“Shore, Stein, Papier” ist Video-Unterhaltung, wie ich sie noch nie gesehen habe und wie sie im Fernsehen nie möglich wäre. Wegen der Drastik mit der erzählt wird und auch wegen der Erzählweise. Einfach jemanden an einen Küchentisch setzen und erzählen lassen, das würde im TV nicht funktionieren. Man muss sich einlassen auf diese Geschichte und ihre Details, sich die Protagonisten vorstellen und all die Alias-Namen merken: der Ägypter, Dekra, Patatas, der Jugo, Ramono und Romano.
Echte Namen fallen nie. Auch den Namen des Protagonisten erfährt man nicht. Man weiß auch nicht, wer hinter der Kamera sitzt und ihn ausfragt. Aber man kann sich denken, wie tiefenpsychologisch es hier vorgehen muss, wie an den kleinsten Fäden der Erinnerung gezerrt wird, um die Geschichten aus der Vergangenheit in all ihren Details wieder lebendig zu machen.
Fängt man aber an, im Web zu suchen, kommt man schnell auf Spuren früherer Vergangenheitsbewältigung. Da gab es mehrere Blogs, die nur noch über Archive.org zu finden sind, andere Posts, die darauf linken und auch auf ein Musikprojekt, in dem man unseren Erzähler wieder erkennen kann. Ohne zu sehr in die Tiefe zu gehen: Die Blogeinträge sind noch um einiges krasser als die Videogeschichten, so dass man sich vorstellen kann, wie viele Details in den Videos nicht erwähnt werden. Und möglicherweise auch in den Blogposts nicht.
Der YouTube Kanal Zqnce gehört zu den deutschen “Original Channels”, die von YouTube mitfinanziert werden, um neue Videoformate zu schaffen. In diesem Fall wird der Mut belohnt: Zqnce schaffen mit “Shore, Stein, Papier” ein neues Format, das informiert, unterhält und auch schockiert. Gerade das macht es so spannend. Und man wird, verzeiht mir die Wortwahl, wirklich süchtig danach, zu wissen wie es weiter geht.