Letzte Woche bei Günther Jauch haben wir einmal mehr eine Demonstration dessen erhalten was so viele Menschen in Partei- und Wahlmüdigkeit treibt: Da saßen Spitzenpolitiker der Parteien von Wagenknecht bis Brüderle und ergingen sich in Rechthaberei, aussagelosen Phrasen, nervige und austauschbare Details, Geschrei und Arroganz. Eine Sendung, die man normalerweise einfach abschalten würde, aber die eine Woche vor der Wahl sicher einige tausend Menschen dazu gebracht hat zu sagen, es reicht, ich wähle nicht, diese Menschen dort repräsentieren mich nicht.
Vielleicht ist man am Sonntag auch verreist, verkatert, es regnet oder es ist auf einmal 18:00h und was soll’s, dann eben nicht, wählen ist doch egal, die machen ja doch alle das gleiche. Wem es schlecht geht und der nicht wählen geht, glaubt, die Politik könnte nichts an seinem Leben ändern. Wem es gut geht und der nicht wählt, denkt, die Politik braucht nichts an seinem Leben ändern. Und wer sein Nicht-Wählen noch intellektuell begründen will, sagt, es brauche eine Debatte über zeitgemäßere Beteiligung der Bürger an Entscheidungen, die repräsentative Demokratie sei am Ende.
Genervt von Politikern in Talkshows, enttäuscht, ernüchtert, desinteressiert, überlegen – so fühlen sich Nichtwähler. Und wer bin ich, diese Gefühle in Frage zu stellen. Ich finde aber, dass man trotzdem wählen sollte. Denn diese Demokratie mit ihre nervigen Talkshows, mit ihrem fiesen Lobbyismus, mit der Berliner Käseglocke, in der Politiker den Bezug zum echten Leben verlieren, diese Demokratie, mit rechthaberischen Debatten, undurchschaubaren Gesetzgebungsverfahren und scheiternden Politikern ist in meinem Augen am Ende doch die beste Form, ein Land zu organisieren.
Wer damit nicht zufrieden ist und daran etwas ändern will, wer mehr direkte Mitsprache, mehr Transparenz, mehr Zuspitzung und mehr Unterscheidbarkeit will, der soll sich bitte daran machen, dieses System weiter zu entwickeln. Dass das nur mit den Parteien und mit den bestehenden Institutionen geht, davon bin ich überzeugt. Wer durch Nichtwählen dem Parlament die Legitimation entzieht, schlägt immer noch nichts Besseres vor. Natürlich brauchen wir mehr Mitbestimmung, offenere Parteien, mehr Transparenz und bessere Medien.
Aber das schaffen wir nur zusammen und darum hoffe ich, dass am Sonntag viele Menschen wählen gehen und zeigen, dass sie an diese Demokratie
glauben, in der man seine Meinung sagen kann, in der man sich engagieren kann und an der man mitarbeiten kann. Auch wenn es nur ein bisschen Fernsehen ist und dann ein Kreuz machen. In vielen Ländern kämpfen die Menschen für dieses Recht und hier wird es einfach weg geworfen.
Jetzt zum Vorwurf, die Parteien seien austauschbar und es stünde eigentlich nicht wirklich etwas zur Auswahl. Hallo?! Es gibt große Unterschiede zwischen den linken und den konservativen Parteien: Mindestlohn oder nicht, Bürgerversicherung oder Status Quo, Einwanderung und doppelte Staatsbürgerschaft oder weiter wie bisher, Kitas oder Betreuungsgeld, mehr Geld für den Staat, für Bildung, Infrastruktur und Kommunen oder mehr Geld für Hoteliers, Pharmaindustrie und Ärzte.
Ich glaube, man merkt, dass ich meine Entscheidung schon getroffen habe. Ich glaube, wir brauchen nach vier Jahren schwarz-gelb wieder mehr moderne und soziale Politik. Aber egal, welche Präferenz du, liebe/r Leser/in hast, ich bitte dich von Herzen, geh wählen und dann reg dich weiter über Politik und ihre Entscheidungen auf, laut und stark und lass uns weiter in einem System leben, wo das möglich ist. Lasst uns den Politikern weiter auf die Nerven gehen mit Tweets und Blogposts und Petitionen und Volksabstimmungen. Und am Sonntag einen neuen Bundestag wählen.